Kultur (Politik): Eine Krise in der Krise!

AktuellPressemitteilung

„Die Reduktion der Diskussion um Kunst und Kultur auf Wirtschaftshilfen und Zutrittsberechtigung verwässert den tatsächlich tiefgreifenden Schaden für uns als Gesellschaft durch die stiefmütterliche Behandlung von Kultur im Pandemiemanagement in Deutschland! Damit erweisen wir unserer eigenen Zukunft einen Bärendienst!“ ( Katja Mitteldorf ) 

 

Wir schreiben das Jahr 3 der Pandemie.

Kulturverbände, Interessenvertretungen und Kulturpolitiker:innen sehen es mittlerweile schon als Erfolg an, dass das neuerlich veränderte Bundesinfektionsschutzgesetz nun eine Begründungspflicht für Einschränkungen im Kulturbereich einfordert. 

Vielmehr noch wird eine winzige Passage der Bund-Länder-Runde, die keinerlei Rechtsrahmen darstellt, geradezu als großer Durchbruch bejubelt. Dort werden die gesellschaftliche Bedeutung und Relevanz von Kunst und Kultur in einem Absatz prosaisch aufgeschrieben. 

So sehr ist der Kulturbetrieb mürbe gemacht worden in den letzten drei Jahren, dass solche Selbstverständlichkeiten zu heilbringenden Nachrichten stilisiert werden. 

 

Mir blutet das Herz und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass mich das insgesamt körperlich schmerzt. Es ist, als blickte ich auf diese bunte, lebensbejahende und motivierende Welt der Kunst, in der ich selbst groß werden durfte, und sehe nur noch ein sehr kleines Lichtlein, wo einst eine gleißender Strahl war. Es ist und bleibt eine Schande, wie die Kulturnation Deutschland mit ihren Künstler:innen und Kreativen umgeht - das hat diese Pandemie noch einmal im Brennglas verdeutlicht. 

Da war der monatelange (erfolglose) Kampf um realitätsabbildende Finanzhilfen gerade für freiberufliche Künstler:innen, aber auch für private kulturelle Institutionen. 

Die Ungleichbehandlung der Sport- und Kulturberufe im Lockdown und Teil-Lockdown, der für die anderweitig arbeitende Bevölkerung überhaupt gar kein Lockdown war, tat ihr Übriges.

Kunst und Kultur wurden schnöde als Freizeitbereich degradiert, wobei fleißig Unterschiede gemacht wurden, denn so mancher Teil von Kultur war scheinbar wichtiger als andere. 

All das nahm und nimmt Hoffnung, Luft zum Atmen und hemmt das, was Kunst und Kultur als gesellschaftlicher Eckpfeiler ausmacht: die Kreativität, die Berührung, das Miteinander, die Zukunft. 

 

Wir schreiben das Jahr 3 der Pandemie. 

Zu Überbrückungshilfen sind Neustart-Hilfen hinzugekommen, die fleißig abgerufen werden und dennoch noch immer kaum einer künstlerisch-tätigen Person das Auffangen von gleichzeitig gestiegenen Lebenshaltungskosten ermöglicht; geschweige denn alle Menschen der Branche überhaupt bedenkt. Nicht öffentlich geförderte Einrichtungen werden zu einem großen Teil bis heute in der Logik des freien Marktes eben diesem überlassen. 

Die Zahl derer, die überhaupt nichts, aber auch gar nichts als Hilfe bekommen haben, obwohl der Staat für sie ein Berufsverbot beschloss - ist groß. Aber sie wird unsichtbar bleiben, die Narben für die Betroffenen aber werden wohl nie ganz verschwinden. Unzählige Kreative hingegen sind bereits jetzt verschwunden und werden wohl auch nicht zurückkommen. 

 

Die pandemische Kulturdiskussion wird scheinbar nur noch darüber geführt, ob 2G oder 2G+ den roten Teppich für eine Eintrittskarte ausrollt. „Die Kultur ist offen“ schallt es da erleichtert aus Verbandsstrukturen und von Redepulten aus Parlamenten. 

Dass aber ganze Genres und Organisationsformen des künstlerisch-kulturellen Bereichs noch immer nicht sicher sagen können, zu welchem Anstrich ihrer jeweiligen Landesverordnung sie sich einordnen sollen, scheint nicht wichtig zu sein. Denn auf einem Stück Papier steht ja, dass Kunst und Kultur relevant sind. Das muss schließlich reichen. 

 

Die soziale Frage, die nach Teilhabe an kulturellen Prozessen aller Menschen, ist im politischen Diskurs offenbar auch längst von der Frage der rein physischen Zutrittsmöglichkeit überwunden worden. 

 

All das scheint kaum jemanden mehr anzuheben. Ist eben so. Punkt.

 

Der enorme genreübergreifende Organisationsgrad der Kulturbranche zu Beginn der Pandemie scheint verstummt. So viele haben kapituliert. Ich kann es den Menschen nicht verübeln; zu gut kenne ich das lähmende Gefühl, Kämpfe zu bestreiten, für die sich niemand wirklich interessiert. Irgendwann reicht die Kraft ob der schier unüberwindbaren Wand der Ignoranz einfach nicht mehr. 

 

Wir schreiben das Jahr 3 der Pandemie. 

Kulturpolitiker:innen, die bereits vor der Pandemie zumeist belächelt im parlamentarischen Betrieb  heroische Kämpfe gegen Kürzungsorgien versuchten, sind noch mehr gefordert. Oftmals sind sie noch mehr auf sich allein gestellt. Schon vor der Pandemie waren sie aufgrund der Finanzkämpfe der Zeit beraubt, um sich wirklich langfristig-strategischer Planung von Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik widmen zu können. Seit der Pandemie werden solche wichtigen Debatten generell abgeblockt.

 

Die Haushaltsdebatten treffen nun noch verstärkter auf die Formblatt-Mentalität der deutschen Verwaltungsbürokratie. Da ist für die Individualität und Einzigartigkeit von Kunst und Kultur in all ihren Formen kein passendes Feld zum Ankreuzen zu finden.

 

All das passiert für mich in dem Wissen, dass den meisten Menschen gar nicht klar ist, welche Verluste wir für unsere eigene Entwicklung produzieren, welchen Nährboden wir uns selbst entziehen, weil im politischen Raum zu wenige Enthusiast:innen unterwegs sind, für die Kunst und Kultur nicht nur eine schnöde Strukturfrage sondern Lebensgrundlage und - ja - auch ein Lebensgefühl ist. 

 

Aber Gefühle passen eben auch in keine Formblätter und keine Haushaltstitel oder Projektanträge. 

 

Wir schreiben das Jahr 3 der Pandemie. 

Kulturvereine, kleine und große Institutionen, kulturelle Bildungseinrichtungen, Festivals, soziokulturelle Zentren, Brauchtums- und Traditionsinitiativen, Künstler:innen und Kreative aller Genres … sie machen noch immer so unendlich viel möglich in dieser ganzen Unsicherheit. 

Sie planen, verwerfen, planen neu, bereiten sich vor, müssen sich zurückziehen, überlegen sich neue Wege, ermöglichen - sich selbst, aber vor allem auch anderen - trotz allem das kleine und große Glück mit der Kunst. Sie alle schaffen - trotz allem, trotz der eigenen Verzweiflung - andere Räume für das Miteinander, für das Träumen, das Erleben, das Wachsen von Persönlichkeiten. 

Sie erhalten den diskursiven Nährboden dieser Gesellschaft - auch wenn die Zahl derer, die hasserfüllt der schweigendenMehrheit ihre Meinung aufdrängen, weiter wächst.  

 

Ich wünsche mir, dass das Jahr 3 der Pandemie die Möglichkeit eröffnet, endlich ernsthaft zu diskutieren, wie wir Kulturpolitik dahingehend weiterentwickeln, dass wir wirklich Zukunftsgestaltung Rahmenbedingungen ermöglichen. Solche, die Platz zum Experimentieren und auch Scheitern lassen und die Kunst und Kultur nicht in ein anonymes Formblatt pressen will. 

 

Ich wünsche mir, dass alle Verantwortlichen in Politik, Verwaltung und auch Medien aufhören, eine ausschließliche Prestige-und Nützlichkeitsdebatte über den Kulturbereich zu führen. 

 

Ich wünsche mir, dass die Kultur selbst sich nicht nur über Haushaltsstellen definiert, sondern auch ihren eigenen Transformationsprozess mutig in die Zukunft führt. So sehr ich dabei bleibe, dass jeder Cent für die Kultur ein richtig angelegter Cent für die gesamte Gesellschaft ist, so sehr lehne ich die Einstellung ab, dass eine Zahl in einem Haushalt die Wertigkeit von Kultur definiert.

 

Ich wünsche mir, dass politisch Verantwortliche ergebnisoffen debattieren und sich tatsächlich tief in die Materie denken, wenn es um die Frage kultureller Entwicklungsperspektiven geht. Die Weigerung, sich notwendigerweise mit Detailfragen über einen längeren Zeitraum im kulturpolitischen Raum zu beschäftigen, ist immer der Todesstoß für irgendeine Entwicklung. 

 

Ich wünsche mir, dass der Rechtfertigungsdruck aufhört und Interesse und Wertschätzung Einzug halten. Solange ich atme, kann und werde ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass es gelingen kann.

 

Wir schreiben das Jahr 3 der Pandemie. 

Die Krise, in die Kunst und Kultur durch politische Entscheidungen gestürzt wurde, offenbart die seit Jahren existente und kaum beachtete Krise von Kulturpolitik. Sie ist oftmals nur Bittstellerin, Bewahrerin und auf den Ebenen, wo Entscheidungen getroffen werden, oft zu einseitig und gefällig. Sie ist nicht mutig, kreativ und visionär, obwohl sie genau dies sein muss. Sie wird nicht interdisziplinär gelebt, obwohl das immanenter Bestandteil ist. Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik und auf Verwaltungsebene daher ein Querschnittsthema, kein Nischenbereich. 

 

Es ist Zeit, dass Kulturpolitik in ihre Stärke kommt. Aber dafür braucht es eben (auch) Gefühl.