Die Perspektiven Thüringens als Zentrum der Ernährungswirtschaft

Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/2135


Die Perspektiven Thüringens als Zentrum der Ernährungswirtschaft


Die Ernährungsbranche Thüringens nimmt seit Jahren einen führenden Rang innerhalb des verarbeitenden Gewerbes ein, was auch statistische Wirtschaftsdaten und amtliche Berichte belegen.
Mit einer leistungsfähigen Lebensmittelindustrie, beginnend bei der landwirtschaftlichen Urproduktion, über Verarbeitungs- und Handelsstufen, bis hin zu verschiedenen Vermarktungsformen, konnte sich der Freistaat Thüringen einen wirtschaftlichen Standortvorteil erarbeiten.
Die lange und gute Tradition als "Genussland" ist oft mit ein entscheidender Grund für Besucher, Thüringer Regionen als Reiseziel auszuwählen. Viele landestypische Spezialitäten sind weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt und geschätzt.
Naturgemäß ist die Ernährungsindustrie eng mit den landwirtschaftlichen Betrieben verflochten, die sich aber in der Gegenwart besonders schwierigen Rahmenbedingungen und damit einem enormen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt sieht. Unsicherheiten in Hinblick auf die künftige Ausgestaltung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) nach Auslaufen der jetzigen Förderperiode 2013 erschweren zudem die perspektivischen Unternehmensplanungen der Betriebe.
Der Erhalt der etablierten Produktionsstrukturen in allen Stufen der Lebensmittelkette ist jedoch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass auch künftig in der Region hochwertige Lebensmittel erzeugt und vermarktet werden können.
Ziel dieser Großen Anfrage soll es deshalb sein, möglicherweise noch unerkannte Potenziale in den Bereichen Produktion, Verarbeitung, Veredelung und regionale Vermarktung erkennbar zu machen und Chancen ihrer Nutzung aufzuzeigen.
Ausgehend von einer umfassenden Analyse des Ist-Zustandes sollen Zukunftsperspektiven für den Standort Thüringen als Zentrum der Ernährungswirtschaft abgeleitet werden.

Wir fragen die Landesregierung:


I. Verbraucherinteressen und Image der Lebensmittelindustrie



1. Welche Informationen liegen der Landesregierung über Verbraucherwünsche nach Regionalität und Qualität einzelner Lebensmittelwarengruppen vor? Wie können diese Wünsche in Thüringen befriedigt werden?


2. Gibt es Erhebungen für Thüringen, in welchen Verkaufseinrichtungen Verbraucher Lebensmitteleinkäufe vorzugsweise vornehmen? Wenn ja, wie hoch ist der Anteil von Discountern und Supermärkten, Spezialverkaufsstellen (z. B. Bäcker, Fleischer), Wochen- und Bauernmärkten, Hofläden, Bio- und Feinkostläden und privat betriebenen Lebensmittelgeschäften ("Tante-Emma-Laden")? Welcher Verbrauchertrend ist gegebenenfalls aus den Erkenntnissen abzuleiten?

3. Wie werden die Lebensmittelangebote in Städten und ländlichen Räumen eingeschätzt? Worin liegen mögliche Angebotsunterschiede (in Bezug auf Warensortimente, Qualität, Frische, Preisgestaltung)?

4. Wie stellt sich die Präsenz einheimischer Produkte verschiedener Produktgruppen (z. B. Obst und Gemüse, Fleisch und Fleischerzeugnisse, Milch und Milchprodukte) im Thüringer Lebensmitteleinzelhandel dar?


5. Gibt es eine einheitliche Definition für den Grad der Eigenversorgung mit bestimmten Produkten? Wenn ja, wie lautet diese? Wie hoch ist dementsprechend der Eigenversorgungsgrad in Thüringen bei Obst, Gemüse, Kartoffeln, Fleisch und Milch? Inwieweit unterscheidet er sich vom Selbstversorgungsgrad in Deutschland insgesamt?


6. Wie bewertet die Landesregierung die Qualität der Verbraucherund Ernährungsberatung in Thüringen? Welche Aufklärungskampagnen laufen hierzu in Thüringen? Welchen Beitrag leisten dabei die Verbraucherzentrale, die Gesellschaft für Ernährung und gegebenenfalls weitere Organisationen?

7. Gibt es Studien darüber, wie sich die Bevölkerung Thüringens mit der Ernährungsindustrie identifiziert und welchen Stellenwert die Landwirtschaft in den Augen der Verbraucher hat? Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung darüber vor, ob die Landwirtschaft eher als Produktionsstandort hochwertiger Nahrungsmittel, Bewahrer der Kulturlandschaft und Motor der Wirtschaft in ländlichen Räumen betrachtet wird oder mehr ein Negativimage mit Massentierhaltung, Schädigung der Umwelt und Empfängern von hohen Subventionen verbreitet ist?


8. Sollte mehr öffentliche Aufklärung über Wirkzusammenhänge zwischen den einzelnen Stufen der Lebensmittelkette erfolgen? Wenn ja, wie, durch wen und für welche Zielgruppen?

9. Kann nach früheren Lebensmittelskandalen (Beispiele: BSE, Gammelfleisch, Dioxin in Futtermitteln) von einem wiedergewonnenen Vertrauensverhältnis zwischen den Verbrauchern, der Landwirtschaft, den Verarbeitungsbetrieben und Händlern gesprochen werden? Wenn ja, woraus leitet die Landesregierung diese Einschätzung ab?


10. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung zur Frage, ob Lebensmittelimitate (z. B. Schinken- und Käseimitate, "Klebefleisch") vom Markt offiziell verbannt werden sollten? Wie wird die Antwort begründet?


11. Welchen Einfluss können Verbraucherinteressen und -wünsche auf die Ausrichtung der Produktion in den Teilbereichen der Lebensmittelkette ausüben? Sind bestimmte Lenkungsmechanismen notwendig? Wenn ja, welche und wie könnten diese greifen?

12. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, ob Verbraucher ökologisch erzeugte Lebensmittel (Bioprodukte) für qualitativ hochwertiger bzw. gesünder halten? Gibt es Erhebungen darüber, ob Kaufentscheidungen daraus abgeleitet werden? Wenn ja, welche Kernaussagen enthalten diese?


13. Inwieweit tragen Labels, z. B. das seit 1. Juli 2010 geltende neue EU-Bio-Logo oder "fairtrade", zum Kaufverhalten bei? Kann sich die Vielfalt der Labels nach Auffassung der Landesregierung eher verwirrend als aufklärend für die Verbraucher auswirken?


14. Welche Rolle spielen aus Sicht der Landesregierung gegenwärtig die Medien bei der Imagepflege der Ernährungsindustrie und welche sollten sie einnehmen?


15. Haben Verbraucher Möglichkeiten, die angebotenen Verkaufssortimente selbst mit zu bestimmen, wenn ja, welche?

16. Spiegeln die Preise für Nahrungsmittel den eigentlichen Wert wider? Wenn nicht, welche Korrekturen müssten wie, wo und durch wen in den verschiedenen Stufen der Lebensmittelkette vorgenommen werden? Wer sollte in erster Linie davon profitieren?


II. Kennzeichnung von Lebensmitteln


1. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass Lebensmittel im Allgemeinen verbrauchergerecht gekennzeichnet sind? Wie wird die Antwort begründet?

2. Was versteht die Landesregierung unter einer verbrauchergerechten Kennzeichnung?


3. Welche Angaben sollten auf Lebensmitteln mindestens verzeichnet sein (in Bezug auf Inhalts- und Zusatzstoffe, Herkunft, Formen der Vorbehandlung, gentechnisch veränderte Bestandteile)?


4. Wie sollte die optimale Ursprungskennzeichnung von Lebensmitteln aussehen, die sich aus mehreren Komponenten zusammensetzen (z. B. Früchte in Marmelade oder Joghurt, Kakaoerzeugnisse)?


5. Sollte in Anlehnung an das System der Eierkennzeichnung bei Fleisch- und Wursterzeugnissen oder Milchprodukten die Haltungsform der Tiere aus der Verpackung ersichtlich sein?


6. Wäre die so genannte "Ampelkennzeichnung" eine Möglichkeit, relativ unkompliziert die wichtigsten, von der Mehrzahl der Verbraucher gewünschten, Angaben auf den Verpackungen zu vermerken? Inwieweit sieht die Landesregierung derzeit Chancen für ihre Einführung? Welche Positionen verschiedener Branchenvertreter zur Ampelkennzeichnung sind der Landesregierung bekannt?


7. Welche Verbraucherkritiken an üblichen Kennzeichnungen sind der Landesregierung bekannt? Inwieweit werden diese aufgegriffen, um gegebenenfalls Verbesserungen zu erreichen?


8. In welchem Maße sollten die Interessen der Lebensmittelindustrie
Berücksichtigung finden? Wie wird die Antwort begründet?

9. Teilt die Landesregierung folgende Erfahrung der Verbraucherzentrale Hamburg, die in der Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 5. Juli 2010 zum Thema "Angebots- und Nachfragemacht des Lebensmitteleinzelhandels und die Auswirkungen auf die Verbraucher" zu lesen ist: "Die sukzessive Verschlechterung der Kennzeichnungsvorschriften sehen wir als weitere Fehlentwicklung. Diese unterstützt die Tendenz zur: Qualitätsverschlechterung in den letzten Jahren und ermöglicht es, Produktionsverschlechterungen besser zu verschleiern"? Wie wird die Antwort begründet?


10. Müssten Kennzeichnungsvorschriften geändert werden; wenn ja, welche, warum und durch wen?


11. Gab bzw. gibt es Initiativen der Landesregierung in Richtung einer Verbesserung EU-weit geltender Kennzeichnungssysteme, die sich stärker als bisher durch wahrheitsgetreue, verständliche, glaubwürdige und nicht irreführende Informationen auszeichnen? Wenn ja, welche?


12. Wie kann eine EU-weite Einheitlichkeit im Kennzeichnungssystem erreicht werden?


III. Lebensmittelsicherheit und Qualitätskontrolle


1. Welcher Anteil der in Thüringen ansässigen Betriebe der landwirtschaftlichen Primärproduktion, des Gartenbaus, der Verarbeitung, des Handels und der Vermarktung nehmen am QS-Prüfsystem für Lebensmittel ("Qualität und Sicherheit für Lebensmittel vom Erzeuger bis zum Verbraucher") teil?


2. Welche Gründe geben die Betriebe dafür an, sich für die Teilnahme am QS-System zu entscheiden?


3. Das QS-System wurde bisher für die Produktgruppen Fleisch und Fleischwaren sowie Obst, Gemüse und Kartoffeln eingeführt. Warum tragen weitere Lebensmittel, wie Milch, Eier oder Fisch das Prüfzeichen nicht?


4. Würde sich die Landesregierung für dessen Einführung einsetzen? Wie wird die Antwort begründet? Welche Voraussetzungen wären hierfür zu erfüllen?


5. Bisher basiert das QS-System auf Freiwilligkeit. Würde sich die Landesregierung für eine gesetzlich verpflichtende Teilnahme aller Stufen der Lebensmittelkette aussprechen? Wie wird die Antwort begründet?


6. Im Warenbereich Obst, Gemüse und Kartoffeln beinhaltet das QS-System Untersuchungen auf die Einhaltung von Rückstandshöchstmengen an Pflanzenschutzmitteln und Nitraten. Diese Lebensmittelgruppen sind häufig Importwaren sowohl aus EU-Staaten als auch aus nicht europäischen Ländern. Können auch diese das QS-Prüfsiegel erhalten; wenn ja, unter welchen Bedingungen? Wenn nicht, wie erfolgt hierfür die Qualitätsprüfung?


7. Ist die Herkunft der Produkte ein Kriterium bei der Auswahl von Stichproben während der amtlichen Lebensmittelüberwachung?


8. Der Internetauftritt des Thüringer Landesamtes für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz (TLLV) veröffentlichte aktuelle Informationen über Untersuchungen zur Sommerzeit. In Bezug auf Kontrollen von Speiseeis ist folgendes zu lesen: "Werden Lebensmittel mit bestimmten Farbstoffen wie Tartrazin oder Azorubin gefärbt, so ist nicht nur der Farbstoff zu kennzeichnen. Ab dem 20. Juli 2010 müssen entsprechende Produkte zusätzlich den Warnhinweis 'Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen' tragen." Welche Untersuchungen gingen der eingeführten Pflicht zu dieser speziellen Kennzeichnung voraus? Wenn bei Verwendung dieser Lebensmittelfarbstoffe Gesundheitsrisiken nicht ausgeschlossen werden können, warum dürfen sie dann zugelassen werden? Wer ist die zulassende Stelle und welche Wirkung bzw. welchen Nutzen erhofft man sich von der genannten Zusatzinformation, wird beispielsweise davon ausgegangen, dass Kinder vor dem Verzehr von Speiseeis Warnhinweise lesen und sich davon abschrecken lassen?

9. Wie schätzt die Landesregierung die Kontrolle und Überwachung der Lebensmittelsicherheit in Thüringen generell ein? Gibt es möglicherweise noch Sicherheitslücken; wodurch sind diese gegebenenfalls bedingt und wie werden sie beseitigt?

10. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass mit der Verabschiedung des Verbraucherinformationsgesetzes Verbraucher besser vor Lebensmittelskandalen geschützt sind? Wie wird die Antwort begründet? In welchen Punkten sollte das Gesetz novelliert werden?


11. Sind die Thüringer Lebensmittelkontrollbehörden materiell, personell und finanziell bedarfsgerecht ausgestattet?


IV. Vermarktungswege und Marketing


1. Laut Koalitionsvertrag möchte sich die Landesregierung für den weiteren Ausbau des Gemeinschaftsmarketings und eine bundesweit abgestimmte Exportförderung einsetzen. Mit welchen konkreten Vorhaben soll dieses Ziel erreicht werden?


2. Auf Grund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zum Absatzfondsgesetz musste die CMA (Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH) im Jahr 2009 ihre Absatzfördertätigkeit für die Land- und Ernährungswirtschaft in Deutschland einstellen. Im Juni 2009 nahm alternativ die AMI-Agrarmarkt Informationsgesellschaft mbH mit Sitz in Bonn die Arbeit auf. Ersetzt die AMI die Absatzförderung der CMA in vollem Umfang? Wie hat sich die Absatzförderung in Deutschland und Thüringen seitdem entwickelt? Welche Probleme sieht die Landesregierung? Wie ist das Gemeinschaftsmarketing in Thüringen eingebunden?

3. Entsprechend einer Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern wird die Aufgabe der Agrarmarktberichterstattung der AMI zu 60 Prozent aus Bundesmitteln und zu 40 Prozent aus Landesmitteln finanziert. Welchen Anteil trägt Thüringen hierfür und aus welchem Haushaltstitel?


4. Die "Förderrichtlinie des Thüringer Ministeriums für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung der Marktstrukturverbesserung" (ThürStAnz 2008, S. 1011) soll im Interesse der Verbesserung von Vermarktungschancen unterstützend für die Gründung von Erzeugerzusammenschlüssen wirken. Wie schätzt die Landesregierung die Inanspruchnahme und das Wirksamwerden dieser Mittel seit Inkrafttreten der Richtlinie ein?

5. Eine Analyse des Thüringer Landesamtes für Statistik vom November 2009 bescheinigt dem Ernährungsgewerbe einen seit Jahren anhaltenden nach oben gerichteten Trend der Umsätze; sowohl im Inland, als auch im Ausland. Der Auslandsumsatz im Jahr 2008 stieg gegenüber dem Jahr 2007 sogar um 22 Prozent an. Aus der Statistik gehen jedoch nur Gesamtzahlen hervor. Welche der in Thüringen hergestellten Produkte werden schwerpunktmäßig im Inland bzw. im Ausland abgesetzt?


6. Sieht die Landesregierung eine Marktmacht der Supermarktketten, möglicherweise auch einen Missbrauch? Befürwortet die Landesregierung hierzu eine Untersuchung, wie es während einer Anhörung im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 5. Juli 2010 im Bundestag gefordert wurde?

7. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung zu dem am 7. September 2010 verabschiedeten Initiativbericht des EU-Parlaments, wonach europäischen Bauern ein existenzsicherndes Einkommen zu garantieren ist und der faire Wettbewerb in der gesamten Lebensmittelversorgungskette schärfer überwacht werden soll?


8. Schätzt die Landesregierung die Marktverhältnisse in Thüringen so ein, dass kleinere Händler benachteiligt werden? Wie wird die Antwort begründet?


9. Wie ist in Thüringen der Agrarhandel in verschiedenen Produktgruppen von der Primärstufe bis zur Großhandelsstufe strukturiert (z. B. über private Landhändler, Genossenschaften)?

10. Unterstützt die Landesregierung das Ziel, dass Lebensmittel wie Milch, Fleisch, Obst und Gemüse, stärker als bisher im Umkreis von Produktionsbetrieben vermarktet werden sollten? Könnte damit die Ausfuhr reduziert werden, nicht zuletzt auch mit dem Ziel der Senkung transportbedingter Emissionen?


11. Wie haben sich in Thüringen seit 1990 die Verkaufsflächen und die Anzahl der Geschäfte im Lebensmitteleinzelhandel entwickelt?


12. Wie hat sich die Zahl der Einkaufsstätten, Discounter, Verbrauchermärkte, kleine Lebensmittelgeschäfte, Fachgeschäfte und Wochenmärkte entwickelt?


13. Ist in Thüringen das Netz der Lebensmitteleinkaufsstätten mittlerweile bedarfsgerecht ausgebaut? Wo gibt es aus Sicht der Landesregierung noch Nachholbedarf?


14. Wie wird die Ausstattung mit Lebensmittelverkaufseinrichtungen in ländlichen Gebieten eingeschätzt?

15. Ist nach Auffassung der Landesregierung das Netz größerer Sozialverpflegungseinrichtungen (z. B. für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Heime, Schnellrestaurants, Schulküchen, Kantinen etc.) in Thüringen bedarfsgerecht ausgebaut? Wo gibt es gegebenenfalls noch Versorgungslücken und wie können sie geschlossen werden?

16. Existieren Erhebungen darüber, inwieweit der Bedarf durch einheimische Anbieter gedeckt wird? Wenn ja, was besagen diese? Ist in diesem Versorgungsbereich möglicherweise ein Verdrängungswettbewerb zu konstatieren; wenn ja, wie stellt sich dieser dar und inwieweit können einheimische Anbieter in diesem Wettbewerb bestehen?


17. Sollte sich die Ausfuhr von Lebensmitteln auf bestimmte Erzeugnisse beschränken und warum? Welche Produkte sollten nicht exportiert, sondern regional vermarktet werden? Wie wird die Antwort begründet?


18. Welcher Anteil des in Thüringen erzeugten Fleisches (Rind, Schwein, Schaf, Geflügel, Fisch) wird nicht in Thüringen verkauft, sondern ausgeführt? Gibt es Erhebungen darüber, welche Handelswege die ausgeführten Waren zurücklegen? Wenn ja, wie stellt sich dies dar?


19. Wie hoch ist der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch an Obst und Gemüse insgesamt in Thüringen? Zu welchem Anteil wird der Bedarf aus einheimischer Produktion gedeckt? Welcher Anteil gelangt in Verarbeitungsbetriebe und welcher auf Frischemärkte?


20. Welcher Anteil des regional erzeugten Obstes und Gemüses wird in Thüringen und welcher Anteil außerhalb Thüringens vermarktet?


21. Welche Obst- und Gemüsesorten werden ausgeführt, in welchem Umfang und wohin?


22. Welche Obst- und Gemüsesorten werden in welchen Größenordnungen eingeführt und woher?


23. Wurden bzw. werden in Thüringen Befragungen zur Kundenzufriedenheit, beispielsweise in Bezug auf die Marktzeiten, vorgenommen? Wenn ja, welche Ergebnisse liegen daraus vor? Werden z. B. unterschiedliche Marktzeiten im Sommer- und Winterhalbjahr für sinnvoll gehalten?


24. Wie viele Wochen- bzw. Bauernmärkte gibt es in Thüringen und wo? Welche Produkte bzw. Produktgruppen werden vorwiegend auf diesen Märkten angeboten und eingekauft?


25. Würde die Landesregierung ein Programm zur Ausweitung der Direktvermarktung in Markthallen unterstützen, auch im Interesse besserer Arbeitsbedingungen für die Händler?


26. Gibt es neben den üblichen mobilen Verkaufsständen auch Gebäude, die für ein dauerhaftes Marktangebot in Thüringen genutzt werden?


27. Hält es die Landesregierung für erforderlich, dass in Thüringen ein größeres Netz von Markthallen entwickelt wird? Wie wird die Antwort begründet? Würde die Landesregierung Marktanalysen zum Bedarf von Markthallen unterstützen; wenn ja, wie? Welche Regionen kämen hauptsächlich für kontinuierliche Marktangebotsformen in Frage? Welche Erwartungen werden von direkt vermarktenden Unternehmen dahin gehend geäußert? Welche Baulichkeiten würden sich eignen? Welche Hemmnisse sind der Landesregierung bekannt?


V. Die Lebensmittelkette: Primärproduktion/Verarbeitung/Handel


1. Woran sollte sich die einheimische Nahrungsgüterproduktion vorrangig orientieren, stärker an der regionalen Nachfrage oder mehr am globalen Markt? Wie wird die Antwort begründet?


2. In welchen Teilzweigen der Thüringer Ernährungsindustrie gibt es noch nicht ausgeschöpfte Reserven, weil zwar die landwirtschaftliche Primärproduktion vorhanden ist, die Verarbeitung mangels Kapazitäten (z. B. Molkereien, Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetriebe, Getreidemühlen und Backwarenhersteller) aber nicht in Thüringen stattfinden kann?


3. Kann in Thüringen von einem strukturellen Konzentrationsprozess in der Fleisch-, Milch- und Getreidebranche gesprochen werden? Wenn ja, woraus resultiert diese Entwicklung?

4. Sieht die Landesregierung ein Erfordernis darin, speziell in ländlichen Räumen Thüringens, auch im Interesse des Schaffens von Arbeitsplätzen, noch Reserven für die Ernährungswirtschaft zu erschließen? Wenn ja, worin werden die Reserven gesehen?


5. Liegen Erkenntnisse darüber vor, welche Faktoren (z. B. Standortnähe zu Primärproduzenten, große zusammenhängende Erzeugerstrukturen) auf Standortentscheidungen für die Ansiedlung von Verarbeitungsbetrieben in Thüringen den größten Einfluss hatten bzw. noch haben? Erweisen sich Thüringer Strukturen als vorteilhaft?


6. In welchen Größenordnungen ist seit 1990 von Thüringer Betrieben der Ernährungswirtschaft investiert und modernisiert worden? Worin bestanden die wesentlichsten Innovationen?


7. Wie hat sich das Fördervolumen für Investitionen in der Ernährungsindustrie Thüringens in den letzten zehn Jahren entwickelt? Welche Bereiche wurden besonders gefördert und warum? Von welchen Förderprogrammen partizipieren Unternehmen der Ernährungswirtschaft und in welcher Höhe?


8. Ist aus Sicht der Landesregierung ein Förderrahmen weiterhin notwendig? Wie wird die Antwort begründet?

9. Welcher Förderrahmen steht potenziellen Investoren in Aussicht?

10. Wie haben sich die Fertigungskosten seit dem Jahr 2000 für die Branchen der Ernährungswirtschaft entwickelt? Welchen Einfluss hatten diese auf die Endverbraucherpreise?


11. Ist für Thüringen ein Trend in Richtung des Zusammenschlusses von Erzeugern in den Branchen Milch, Fleisch, Obst und Gemüse festzustellen; wenn ja, worin äußert sich dieser?


12. Wie gestalten sich in Thüringen direkte Vertragsbeziehungen zwischen Landwirten, Verarbeitungsbetrieben und Handelseinrichtungen?


13. Thüringer Milchproduktionsbetriebe liefern etwa 50 Prozent der erzeugten Milch an hiesige Molkereien, 50 Prozent gehen an Molkereien außerhalb des Freistaats. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, den Anteil der eigenen Verarbeitung weiter zu steigern. Würde die Landesregierung dies unterstützen und welche Voraussetzung müssten dafür erfüllt sein?


14. In der Schweinehaltung in Thüringen steht seit Jahren einer abnehmenden Zahl von Betrieben eine Zunahme der Bestände gegenüber. Andererseits erzeugt die Thüringer Landwirtschaft lediglich 83 Prozent des in Thüringen konsumierten Schweinefleisches (vgl. Thesen zur Tierproduktion in Thüringen, Publikation des TMLNU, April 2008). Kann nach Auffassung der Landesregierung diese Gegenüberstellung als Argument dienen, künftigen Investitionsvorhaben zwar offen gegenüberzustehen, aus Umwelt- und Tierschutzgründen Grenzen in den Bestandsgrößen aber mehr Bedeutung beizumessen?


15. Ist für die Genehmigung von Schweinehaltungsanlagen die in Thüringen vorhandene Schlachtkapazität für Schweinefleisch ein Gesichtspunkt, der von der Genehmigungsbehörde in die Abwägung einbezogen werden muss? Wenn nicht, würde sich die Landesregierung in diesem Punkt für eine Änderung des Genehmigungsrechts einsetzen?


16. Welche Viehbestandsdichte (Großvieheinheiten/ha) sollte nach Auffassung der Landesregierung für Thüringen angestrebt werden? Wie wird die Antwort begründet?


17. Wie schätzt die Landesregierung die Entwicklung der Legehennenhaltung in Thüringen seit dem Ende 2009 in Kraft getretenen Käfigverbots ein?


18. Wie stellen sich die Rahmenbedingungen für erneute Investitionen in die Geflügelhaltung insgesamt und speziell die Legehennenhaltung dar? Hält die Landesregierung eine Erweiterung der Kapazitäten, auch angesichts einer nur 50-prozentigen Selbstversorgung, für erforderlich?


19. Wie werden die Bedingungen der Produktion, Verarbeitung und Veredelung in der Pferde-, Ziegen- und Schafhaltung in Thüringen eingeschätzt? Reichen die notwendigen Kapazitäten aus bzw. wo gibt es Defizite?


20. Hat sich in den vergangenen Jahren im Bereich der Thüringer Obstund Gemüseproduktion ein Konzentrationsprozess vollzogen? Wenn ja, wodurch kann dieser Prozess charakterisiert werden?

21. Bei welchen Obst- und Gemüsekulturen wäre in Thüringen eine Erweiterung des Anbaus möglich und notwendig? Welche Einflussfaktoren behinderten möglicherweise eine Erweiterung bisher? Welche Erwartungen hat die Landesregierung diesbezüglich?


22. Ist mit einem rückläufigen Anbau bestimmter Produkte zwangsläufig eine Einfuhrsteigerung verbunden, um den Bedarf zu decken? Worin liegen nach Kenntnis der Landesregierung z.B. die Ursachen für den enormen Rückgang der Blumenkohlanbauflächen in Thüringen (vgl. Thüringer Landesamt für Statistik [Hrsg.], Statistisches Monatsheft Thüringen, November 2009 bzw. Thüringer Allgemeine vom 10. Dezember 2009, Lokalseite Erfurt)? Sollte diesem Trend begegnet werden; wenn ja, wie?

23. Aktuelle statistische Angaben (vgl. Thüringer Landesamt für Statistik [Hrsg.], Statistisches Monatsheft Thüringen, November 2009) zeigen für den Gemüseanbau in Thüringen eine Steigerung des Anbaus unter Glas sowie einen Rückgang der Flächen für Freilandgemüse auf. Andererseits geben Gartenbaubetriebe häufig an, wirtschaftlich zunehmend unter den steigenden Energiekosten zu leiden. Könnte nach Meinung der Landesregierung damit die Gefahr des Aufgebens von "Unter-Glas-Anbau" verbunden sein? Mit welchen Maßnahmen gibt das Land gegebenenfalls Unterstützung, um einem derartigen Trend entgegenzuwirken?


24. Nach Angaben der Statistischen Monatshefte Thüringen vom November 2009 und Februar 2010 konnte ein Großteil des gewachsenen Baumobstes (z. B. Sauerkirschen) im Jahr 2008 nicht geborgen und somit nicht marktwirksam werden. Waren auch in anderen Erntejahren derartige Tendenzen festzustellen; wenn ja, in welchen Größenordnungen? Worin werden die wesentlichen Ursachen gesehen? Welche Rolle spielt die vor einigen Jahren eingeführte Pflicht zur Pflanzenschutzmittelreduzierung? Reichen möglicherweise die Zahlen der Erntehelfer nicht aus? Besteht seitens der betroffenen Gartenbaubetriebe sowie seitens des Landes Interesse an der Entwicklung von Konzepten, z. B. an Arbeitsmarktprogrammen für den öffentlich geförderten Arbeitsmarktsektor, um künftig flexibler reagieren zu können?


25. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob seitens der Gartenbaubetriebe Probleme im Zusammenhang mit dem Einsatz von Saisonarbeitskräften angezeigt werden? Wenn ja, welcher Art sind diese und welche Lösungsansätze gibt es?


26. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung zur Förderung des Gartenbaus in Thüringen?


VI. Nachhaltigkeit in der Lebensmittelkette


1. Die Publikation "EU Komp@kt" Nr. 13/2010 berichtet von der Verpflichtung mehrerer Handelsketten zu einem EU-Umwelt-Verhaltenskodex für Einzelhändler, z. B. in Bezug auf umweltgerechte Warentransporte, Ressourceneffizienz, umweltgerechten Umgang mit Abfällen und der Sicherung einer nachhaltigen Herkunft der Waren. Gibt es nach Kenntnis der Landesregierung auch Thüringer Handelseinrichtungen, die sich einem Verhaltenskodex verschrieben haben; wenn ja, welche?


2. Unter welchen Umständen kann nach Auffassung der Landesregierung ein Verhaltenskodex tatsächlich zu mehr Nachhaltigkeit in der Lebensmittelkette von der Produktion bis zum Verbraucher beitragen?

3. Die Niederlande, als derzeit weltweit zweitgrößter Lebensmittelexporteur, wollen sich zu einem Spitzenland "Nachhaltiger Nahrung" entwickeln. Ziele sind u. a. die Einschränkung des Exportes, hohe ökologische Maßstäbe für Erzeugungs-, Verarbeitungs- und Handelsprozesse oder Informationskampagnen für Verbraucher. Anlass und Hintergrund sind nach Aussagen der zuständigen Ministerin, dass "die weltweite Lebensmittelproduktion unter großem Druck steht, da der stark steigende globale Konsum an Fleisch, Fisch und Milchprodukten und deren Produktion und Distribution immense Auswirkungen auf das Ökosystem haben sowie der derzeitige Anteil der Nahrungsmittelproduktion an den weltweiten Umweltverschmutzungen rund 30 Prozent beträgt." (vgl. http://bln.niederlandeweb.de/de/content/community/NewsStart/1246370747).
Teilt die Landesregierung diese Ziele und würde sie ähnliche Programme für Thüringen bzw. die Bundesrepublik unterstützen? Wenn ja, wie?


4. Mit der Forschungsstudie "Handels-Ökobilanz von regionalen und überregionalen Lebensmitteln - Vergleich verschiedener Vermarktungsstrukturen" (Quelle: Information aus der 3. Wahlperiode an die Mitglieder des AfELF zu Vorlage 3/14 vom 17. März 2004) wurde am Beispiel eines Lebensmitteleinzelhandelsunternehmens dargestellt, wie regionale Lebensmittel zur Verminderung von Transportenergie, von Luftschadstoffen, des Eintrags bodenund gewässerbelastender Stoffe, von Lärm und des Bedarfes an Infrastrukturflächen beitragen können. Die Verfasser regen als Schlussfolgerung an, dass Öko-Handelsbilanzen eine Hilfestellung für regionale Vermarktungsinitiativen sein können. Sind der Landesregierung ähnliche Studien für Thüringen bekannt? Wäre die Thematik geeignet, im geplanten Kompetenzzentrum für Agrarwissenschaften näher beleuchtet zu werden?


5. Welche Themen im Zusammenhang mit Ernährungsfragen und der Lebensmittelproduktion sind derzeit Gegenstand von Forschungs- und Entwicklungsprojekten oder Studien in Thüringen bzw. in überregionaler Kooperation? Sind weitere in Vorbereitung; wenn ja, welche?


6. Nach der Antwort auf die Frage 3.1 der Großen Anfrage "Zu den Auswirkungen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik auf die Thüringer Landwirtschaft, den strategischen Zielen bei der weiteren Umsetzung dieser Reform und den Perspektiven für die Zukunft" (Drucksache 4/4873), in der nach den Einflüssen des globalen Marktgeschehens, der Welternährungslage, der klimatischen Veränderungen und den neuen Anforderungen an die regenerative Energiebereitstellung auf die Landwirtschaft in Thüringen gefragt wurde, "wären äußerst umfangreiche Studien erforderlich". Sind derartige Studien in Arbeit bzw. in Vorbereitung; wenn ja, zu welchen Teilthemen?


7. Der Landtag hat am 26. Januar 2007 einen Beschluss zur Umsetzung der Global Marshall Plan Initiative in Thüringen gefasst. Ein Handlungsziel dieser globalen Initiative ist die Beseitigung von Armut und Hunger in der Welt. Mit welchen konkreten Schritten konnte, aus Sicht der Landesregierung, Thüringen zum Erreichen dieses zweifellos anspruchsvollen Zieles beitragen? Ist der Landesregierung z. B. bekannt, auf welche Weise der Thüringer Bauernverband eine gemeinsame Erklärung von 165 Millionen Landwirten aus fünf Kontinenten weiterhin unterstützt, zu deren Zielen er sich im Rahmen einer öffentlichen Anhörung in Vorbereitung des Beschlusses bekannt hatte?


8. Mit welchen Konzepten und Maßnahmen (beispielsweise Werbekampagnen) beabsichtigt die Landesregierung, auf öffentliche Einrichtungen insoweit einzuwirken, dass sie ihr Beschaffungswesen stärker in Richtung regionaler, fairer und ökologisch erzeugter Lebensmittel ausrichten?



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