FAQ zum neuen Schulgesetz

Die rot-rot-grüne Landesregierung stellt so viele Lehrerinnen und Lehrer ein wie keine Landesregierung zuvor. Bis zum Ende der Legislaturperiode werden weit über 3.000 neue Lehrkräfte in den Thüringer Schuldienst gekommen sein. Wir haben die Verbeamtung wieder eingeführt, die Besoldung der Regelschullehrer verbessert und das Einstellungsverfahren beschleunigt. Und dennoch gehört zur ehrlichen Analyse, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen. Wir müssen strukturelle Verbesserungen angehen. Kleine Schulen sollen erhalten bleiben und dafür miteinander kooperieren. Dafür legen wir im Schulgesetz den Grundstein. Thüringen verfügt bezogen auf die Gesamtschülerzahl über 17,7 Prozent mehr Lehrkräfte als andere Bundesländer. Das vorhandene Personal muss im Interesse von Unterrichtsqualität und Unterrichtsabsicherung effektiver eingesetzt werden, zumal es deutschlandweit an Lehrkräftenachwuchs mangelt. Entsprechend wird das neue Thüringer Schulgesetz Parameter für Schul- und Klassengrößen enthalten, an denen sich die Träger bei der Planung ihrer Schulnetze orientieren sollen.

Das Herangehen des Landes ist genau umgekehrt: Weil sich die Bedingungen der Schulen stark unterscheiden, darf es bei den Planungen zukünftiger Schulnetze durch die Träger kein Einheitsraster geben. Entscheidungen müssen immer mit Rücksicht auf die jeweiligen Bedingungen vor Ort gefällt werden. Im Thüringer Modell der Schulnetzplanung werden deshalb künftig Planungsgrundsätze vorgegeben, die vor Ort gegeneinander abzuwägen sind. Beantwortet werden muss hierbei unter anderem die Frage danach, wie es unter Beachtung der baulichen Voraussetzungen 2 / 7 gelingt, die gebotenen Schul- und Klassengrößen einzuhalten, ohne die zumutbaren Schulwegzeiten zu überschreiten. Anders als bei zentralistischen Ansätzen werden somit in Thüringen alle Schulstandorte einzeln betrachtet. Indem aber künftig überall im Land für die weitere Planung die gleichen verbindlichen Grundsätze gelten, gibt das Land den Trägern trotz unterschiedlicher örtlicher Bedingungen einen objektiven Bewertungsmaßstab an die Hand.

Das Thüringer Modell beruht auf vier Grundsätzen:

1. Grundsatz: Bereithaltung eines wohnortnahes Schulangebots Als erstes Land nimmt Thüringen maximale Schulwegzeiten ins Gesetz auf. Es verpflichtet so das Land und die Träger dazu, dass der Schulweg für Schülerinnen und Schüler der Primarstufe 35 Minuten nicht übersteigt. In der Sekundarstufe betragen die maximalen Sollschulwegzeiten 45 (Regelschulen) bzw. 60 Minuten (andere Schularten). Eingerechnet werden müssen bei den Schulwegzeiten sowohl Fußwege als auch die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. [§ 41d]

2. Grundsatz: Flächendeckende Absicherung eines breiten Unterrichtsangebots. Zu diesem Zweck wurden Schulgrößen definiert, ab der das Kollegium einer Schule rechnerisch groß genug ist, um das in der Thüringer Schulordnung für ihre Schülerinnen und Schüler vorgesehene Angebot eigenständig abzudecken. Eine Schule, die das vorgesehene Angebot nicht mit eigenen Lehrkräften erbringen kann, weil sie zu klein ist, soll sinnvoll mit anderen Schulen zusammenarbeiten, sofern dies praktisch und zumutbar möglich ist. Dass Schülerinnen und Schüler das ihnen zustehende Unterrichtsangebot nicht erhalten oder eine Schule auf zusätzliches Personal vom Schulamt angewiesen ist, soll der Vergangenheit angehören. [§ 41 Abs. 2, geordneter Schulbetrieb]

3. Grundsatz: Effektiverer Lehrereinsatz Ein ähnlich effektiver Einsatz der Lehrkräfte wie in anderen Ländern erfordert eine etwas andere Klassenbildung als bisher. Die Klassengrößen sind deshalb landesweit gerechter zu gestalten, solange kurze Schulwege unangetastet bleiben. [§ 41 Abs. 2, geordneter Schulbetrieb]

4. Grundsatz: Beste individuelle Förderung für jedes Kind durch Inklusion mit Augenmaß Alle Schularten bleiben erhalten. Gemeinschaftsschulen können weiter fortentwickelt werden. Ebenso erhalten und fortentwickelt werden regionale und überregionale Förderzentren, solange diese Schulen von den Eltern weiter nachgefragt werden.

Die Frage lässt sich unabhängig davon bejahen, dass aus Sicht des Bildungsministeriums grundsätzlich der Fortbestand keines Standorts in Frage gestellt wird. Mit dem neuen Schulgesetz wird für jeden Schulstandort eine Entwicklungsperspektive geschaffen. Allerdings bleibt die eigentliche Entscheidung, wie bisher schon, beim kommunalen Schulträger. Er entscheidet weiterhin über wesentliche schulnetzrelevante Tatbestände, etwa Bauinvestitionen und das Bestehen oder Nichtbestehen von Umbaumöglichkeiten, weshalb das Schulgesetz ihn auch nur ermächtigt, diese in seine Schulnetzplanung einzubeziehen (im Gesetzentwurf entsprechend als „kann“-Bestimmung formuliert), aber nicht vorschreibt, wie er dies tut. Anders ist es bei den in § 41d spezifizierten maximalen Schulweglängen, die einzuhalten sind. Grundsätzlich aber sind alle schulnetzrelevanten Vorgaben und Tatbestände, also neben den Schulweglängen die in § 41a spezifizierten, schulorganisatorisch begründeten, Mindestgrößen und die in § 41c aufgelisteten weiteren Tatbestände (darunter die bauliche Situation) immer parallel zu betrachten und vor Ort durch den Schulträger in Ausgleich zu bringen. Zwar formuliert der Schulgesetzentwurf hier, dass der Schulträger Ausnahmen von der Einhaltung der in § 41a spezifizierten Mindestgrößen beim Bildungsministerium beantragt, der Gesetzentwurf belässt dem Ministerium hier 3 / 7 aber keinen weiteren Spielraum. Die Prüfkompetenz des Ministeriums beschränkt sich hier lediglich auf das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands. Der Gesetzentwurf begründet entsprechend auch keine Möglichkeit für das Bildungsministerium, künftig bei der Schulnetzplanung durchzuregieren und den kommunalen Schulträgern den Entscheidungsspielraum zu nehmen. Das Bildungsministerium beabsichtigt, die von den Schulträgern gemeldeten Ausnahmetatbestände in der Regel für je einen Zeitraum von mehreren Jahren festzustellen, um den Schulen Sicherheit zu geben und den Aufwand der Antragsstellung durch den Schulträger zu minimieren.

In allen anderen Bundesländern gibt es bereits solche Regelungen. Thüringen stellt als letztes Bundesland verbindliche Rahmenbedingungen für die Schulnetzplanung zur Verfügung. Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die vier Grundsätze – Bereithaltung eines wohnortnahen Schulangebots; flächendeckende Absicherung eines breiten Unterrichtsangebots; einen effektiveren Lehrereinsatz und damit Reduzierung des Unterrichtsausfalls und beste individuelle Förderung für jedes Kind durch Inklusion mit Augenmaß – zu stärken, indem alle Schulträger verpflichtet werden, bei ihren schulorganisatorischen Entscheidungen vor Ort zwischen sachlich begründeten Maßstäben abwägen. Die wesentlichen Entscheidungsspielräume verbleiben beim Schulträger. Im Ausnahmefall gibt es allerdings auch eine Ersatzvornahmemöglichkeit, falls ein Schulträger seinen Verpflichtungen auf gravierende Weise oder über längere Zeiträume nicht nachkommt. Eine solche Erzwingungsmöglichkeit wird durch den Gesetzentwurf vor sehr hohe Hürden gestellt. Anschließend an ein förmliches Feststellungsverfahren zur fehlenden Verpflichtungserfüllung durch einen Schulträger könnte das Bildungsministerium künftig ein Anhörungsverfahren mit dem Schulträger einleiten und müsste anschließend ein Einvernehmen mit dem Innenministerium herstellen, bevor es weitere erzwingende Schritte initiieren kann, deren Umsetzung dann wiederum beim Schulträger lägen. Die Eröffnung eines solchen, wenn auch komplizierten Weges ist im Interesse aller anderen Schulträger: Lehrkräfte, die an einem Ort in Thüringen ineffektiv eingesetzt sind, stehen auch andernorts nicht zur Verfügung, wo bereits heute sehr gut geplant wird.

Für die meisten Grundschulen und Gemeinschaftsschulen mit Primarstufe ändert sich unmittelbar nichts, denn für diese Schularten sind auch künftig keine Eingangsklassenmindestgrößen vorgesehen. Der Gesetzentwurf benennt nur eine Mindestzahl der Einzuschulenden, insofern hier nicht andernfalls zu lange Schulwege resultieren könnten oder die Schule bereits ein Kooperationsmodell mit anderen Schulen eingegangen ist. Auch für Regelschulen mit eigenem Schulbezirk tritt keine unmittelbare Änderung ein, allerdings ist der Schulträger aufgefordert, einen Neuzuschnitt der Schulbezirke zu prüfen, durch den verfügbare Lehrerinnen und Lehrer besser eingesetzt werden können und künftig in höherer Zahl für die Unterrichtsabsicherung zur Verfügung stehen. Für weiterführende Schulen ohne oder mit gemeinsamem Schulbezirk empfiehlt das Ministerium lokal abgestimmte Aufnahmeverfahren, wie sie bereits in einer Reihe Thüringer Regionen und in vielen anderen Ländern üblich sind. Dabei erfolgt die Aufnahmeentscheidung bei den Schulen einer Region gleichzeitig und unter Beteiligung der Schulträger, wobei zumutbare Schulwege in jedem Fall zu gewährleisten sind. Überzählige Anmeldungen gibt es bei einem solchen Verfahren also nicht. In Thüringen bereits etablierte Aufnahmeverfahren sehen in der Regel eine hohe Gewichtung des Elternwunsches vor und berücksichtigen, neben den Schulweglängen, auch Geschwisterkinder, damit Eltern, die ihre Kinder fahren wollen, nicht mehr als einen Standort ansteuern müssen. Fälle, in denen ein besonderer Förderbedarf nur an bestimmten Schulstandorten abgedeckt werden kann, werden nach Möglichkeit bereits vorab über das Staatliche Schulamt zugeteilt. Auch wenn mit solchen Verfahren nicht in jedem Fall der Erstwunsch der Eltern umgesetzt 4 / 7 werden kann, ist doch in der Regel eine für alle Beteiligten befriedigende Lösung erreichbar, die gleichzeitig vernünftig mit den begrenzten Ressourcen umgeht.

Weder Lehrkräfte noch Schülerinnen und Schüler sollen künftig während des Unterrichtstags zwischen weit entfernten Schulstandorten pendeln und auch für nah gelegene Standorte existieren in der Regel günstigere Lösungen. Die im Gesetzentwurf neu eröffnete Möglichkeit von Schulkooperationen dient in erster Linie dazu, Schulen dann organisatorisch in die Herstellung der fachlich für die Schülerinnen und Schüler vorgesehenen Angebotsbreite einzubeziehen, wenn sie selbst für ein solches Angebot zu klein sind und wenn dies von den Entfernungen zwischen den Standorten und den pädagogischen Konzepten her sinnvoll möglich ist. Ist dies nicht sinnvoll möglich oder ist die Schule groß genug für eine eigenständige Bereitstellung des vorgesehenen Unterrichtsangebots, ist aus Landessicht auch keine Schulkooperation anzustreben und für die Schule ändert sich nichts. § 41c Abs. 1 Nummer 9 des Gesetzentwurfs hält fest, dass auch bei zu langen Fahrwegen auf Landessicht keine Verpflichtung zur Schulkooperation geben ist. In zweiter Linie sollen Schulkooperationen auch dazu genutzt werden, die Vertretung von Fachunterricht zu verbessern. Schulen, die in einem Kooperationsmodell an der Bereitstellung des vorgesehenen Unterrichtsangebots und an einer Verbesserung der Möglichkeiten der Unterrichtsvertretung mitwirken, stimmen dafür in sinnvoller Weise die Unterrichtsorganisation ab. Muss beispielsweise ein Musiklehrer an zwei Standorten das Fach absichern, wird durch eine Zusammenfassung des Unterrichts zu größeren Unterrichtsblöcken ermöglicht, dass der Lehrer für ganze Schultage mal am einen, mal am anderen Standort arbeitet. Gleichzeitig tragen die Schulen dazu bei, dass die Einbindung des Lehrers in Lehrkräftekonferenzen und Elternsprechtage so organisiert werden, dass der Lehrer an beiden Schulstandorten sinnvoll eingebunden sein kann, ohne dafür doppelten Aufwand zu tragen. Der im Schulgesetz vorgesehene Maßstab für Kooperationen ist der „geordnete Schulbetrieb“, also eine Verbesserung der „Differenzierung des Unterrichts“ und ein „zweckmäßiger und wirtschaftlicher Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln“ (§ 41 Abs. 2 Satz 1). Kooperationen, die hier zu keinen Verbesserungen oder sogar zu Verschlechterungen führen, sind vom Land nicht vorgesehen, sollen also auch nicht stattfinden.

Im Gesetzentwurf der Landesregierung zur Weiterentwicklung des Schulwesens wird deutlich, dass an der Existenz der Förderschulen in Thüringen festgehalten wird. Sie sind und bleiben fester Bestandteil der Thüringer Bildungslandschaft. Die Fachkompetenz der Förderschullehrkräfte wird in den Förderzentren ebenso benötigt wie im Gemeinsamen Unterricht in anderen Schulen. Seit 2007 besteht für die Förderzentren der Auftrag, sich zu Beratungsund Unterstützungszentren weiterzuentwickeln und den Gemeinsamen Unterricht mit ihrer Professionalität die Lehrer anderer Schularten zu unterstützen. Der Elternwille bei Förderortentscheidung (allgemeine Schule oder Förderschule) wird durch den Schulgesetzentwurf gestärkt [§ 8a Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1]. Um die richtige Schule für ein Kind zu finden, beraten die Koordinatoren für den gemeinsamen Unterricht die Eltern. Wollen die Eltern die Empfehlungen der beratenden Experten nicht annehmen und ihr Kind in eine andere Schule geben, wird dies auch in Zukunft möglich sein – gleichgültig, ob die Beschulung dann an einem Förderzentrum oder einer allgemeinen Schule stattfindet. Da für die Entwicklung eines Kindes und seines schulischen Erfolgs ein gutes Miteinander von Schule und Elternhaus entscheidende Bedeutung hat, ist wichtig, dass die Eltern vom gefundenen Weg überzeugt sind. Darüber, ob einzelne Förderschulen, die nicht mehr nachgefragt werden, fortbestehen, entscheidet der Schulträger, der für die Errichtung, Veränderung oder Aufhebung seiner Schulen und der damit verbundenen Aufstellung und Fortschreibung der Schulnetzplanung für sein Gebiet zuständig bleibt.

Mit dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Schulwesens wird der 2013 von der Landesregierung festgestellte Grundsatz „Qualität vor Geschwindigkeit“ weiter verfolgt. Wie schon bisher in den zukünftig zusammengefassten Gesetzen bleibt der Vorrang des gemeinsamen Unterrichts bestehen. Dieser wurde bereits 2003 im Thüringer Förderschulgesetz (ThürFSG) festgeschrieben und ergibt sich aus der für das Land verbindlichen UNBehindertenrechtskonvention (UN-BRK) sowie dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. November 2010 zu den pädagogischen und rechtlichen Aspekten der Umsetzung der UN-BRK. Pädagogisch spricht sich die Mehrzahl der wissenschaftlichen Expertinnen und Experten für mehr Inklusion aus, da Kinder zu wesentlichen Anteilen nicht nur von ihren Lehrerinnen und Lehrern, sondern auch von ihren Mitschülerinnen und -schülern lernen. In gemischten Lerngruppen lernen Schülerinnen und Schüler also nach wissenschaftlicher Mehrheitsauffassung signifikant mehr von anderen Kindern als in separierten Gruppen – dies gilt insbesondere für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler, die außerhalb von Förderschulen signifikant häufiger reguläre Schulabschlüsse erreichen, aber auch für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler, die bei der Unterstützung Leistungsschwächerer dazulernen können. Da sich dies aber nicht für jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schüler verallgemeinern lässt, setzt das Land weiter und ohne Auslaufdatum auf die Förderortentscheidung der Eltern.

Grundsätzlich ist die Förderung in allen Thüringer Schulen nicht an einen sonderpädagogischen Förderbedarf gebunden. „Die Schulen sind im Rahmen ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags zur individuellen Förderung der Schüler als durchgängiges Prinzip des Lehrens und Lernens verpflichtet.“ (§ 2 Abs.2) Die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler beginnt also ab dem ersten Schuljahr und berücksichtigt die individuelle Lernausgangslage von jedem Schüler. Dabei ist auch die Prävention von Lernschwierigkeiten ein wesentliches Ziel. Beim Auftreten von Schwierigkeiten im Lernprozess, unabhängig von einem sonderpädagogischen Förderbedarf, werden zusätzliche Fördermaßnahmen in einem Förderplan festgelegt und deren Umsetzung dokumentiert. Sonderpädagogischer Förderbedarf besteht bei Kindern und Jugendlichen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- oder Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können. Bei sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen handelt es sich um schwerwiegende, umfängliche und dauerhafte Lernbeeinträchtigungen, die mehrere Unterrichtsfächer betreffen, bei denen Leistungsrückstände von mehr als zwei bis drei Jahren bestehen und die nicht Folge mangelnder Lernangebote oder schlechter Unterrichtsqualität sind. Die Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen setzt also das Lernen im schulischen Kontext über einen längeren Zeitraum voraus und kann daher frühestens am Ende der Schuleingangsphase festgestellt werden. Sonderpädagogischer Förderbedarf in den Förderschwerpunkten Hören, Sehen, körperlichmotorische Entwicklung, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung sowie geistige Entwicklung kann bereits vor Schuleintritt festgestellt werden, da es sich um Behinderungen nach SGB IX handelt. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, ihre geistigen Fähigkeiten oder ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Bei der Integrationshilfe/Schulbegleitung handelt es sich um eine ambulante, individuelle Hilfe durch eine Fachkraft, die jeweils einem bestimmten behinderten Schüler zugeordnet ist und insbesondere den Schulbesuch (im Unterricht) begleitet. Diese Einzelfallhilfe wird als Eingliederungshilfe für behinderte Kindern und 6 / 7 Jugendliche von den Sorgeberechtigten bei den örtlichen Jugend- bzw. Sozialämtern beantragt. Das Land steht an der Seite der Kommunen bei der Suche nach besseren Lösungen. Aus dem § 35a des SGB VIII bzw. §§ 53 und 54 SGB XII, also vom Land nicht direkt beeinflussbaren Bundesgesetzen, können Eltern individuell gegenüber den Kommunen einen Anspruch auf „Eingliederungshilfen“ begründen (Elternwille). Die Thüringer Kommunen melden seit einigen Jahren Besorgnis erregende Kostensteigerungen im Zusammenhang mit dieser bundesgesetzlichen Regelung für so genannte „Schulbegleiter“, die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf und einer Reihe weiterer Diagnosen an die Förderschulen oder die allgemeine Schulen begleiten. Auch die Schulen sind mit der aus der bundesgesetzlichen Regelung entstehenden Situation nicht immer glücklich.

Es gibt selbstverständlich keine Benachteiligung von Gymnasien. Die flächendeckende Versorgung der Thüringer Schülerinnen und Schüler wird über die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen noch ausdrücklicher garantiert, als dies vorher der Fall war. Dazu gehört die Festlegung maximal zumutbarer Schulwege. Gleichzeitig zielen die vorgesehenen Regelungen darauf, die schulorganisatorischen Bedingungen für qualitativ hochwertigen und gut fachlich untersetzten Unterricht, insbesondere in der Oberstufe, weiter zu verbessern. Wenn künftig nahe beieinander gelegene, aber gleichzeitig sehr kleine Schulen mit gymnasialem Angebot verpflichtet werden, für die Absicherung der für die Schülerinnen und Schüler vorgesehenen Unterrichtsangebotsbreite zusammenzuwirken, wo dies sinnvoll und zumutbar möglich ist, resultiert daraus eine bessere Vorbereitung auf ein allgemeines Hochschulstudium und andere berufliche Ausbildungswege mit höheren Qualifikationsanforderungen. Die für die Gemeinschaftsschulen vorgesehenen Parameter reflektieren deren besondere Aufgabenstellung. Die Leistung der Thüringer Gemeinschaftsschulen und Regelschulen, auch Jugendliche mit überdurchschnittlich herausforderndem sozialen und familiären Hintergrund zu hohen schulischen Abschlüssen zu führen, ist für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes von sehr hoher Bedeutung. Die vielfach noch nicht abgeschlossene Entwicklung der Gemeinschaftsschulen ist entsprechend nicht als Konkurrenz, sondern als notwendige Ergänzung der Gymnasien anzusehen, insbesondere im ländlichen Raum. Der vom Schulgesetzentwurf eingeschlagene Weg besteht darin, auch schulartübergreifende Zusammenarbeiten anzustoßen. Rein zahlenmäßig auf dem Papier und ohne Berücksichtigung der jeweils vom Schulträger gegeneinander abzuwägenden Tatbestände, etwa Schulweglängen, bauliche Situation und Kooperationsmöglichkeiten, sind die Gemeinschaftsschulen jene Schulart, die am stärksten von den künftigen Mindestgrößenvorgaben betroffen ist, weshalb die Rede von einer Bevorzugung hier gar keine Grundlage fände. Allerdings stellen die Mindestgrößenvorgaben schon grundsätzlich keine Bevor- oder Benachteiligung von Schulen dar und eine Betrachtung ohne Berücksichtigung von Schulweglängen, baulicher Situation und Kooperationsmöglichkeiten liefert auch gar keine sinnvollen Informationen, sondern ist schlicht verkürzt. Festzuhalten ist auch, dass Vorgaben, die zur Absicherung der für die Schülerinnen und Schüler vorgesehenen Angebotsbreite beitragen, nicht als Benachteiligung bezeichnet werden sollten. Die Notwendigkeit einer Mindestgrößenvorgabe für die Oberstufe leitet sich aus KMK-Vorgaben ab, nach denen die Oberstufe

- die Unterteilung in Pflichtfächer (wie Deutsch, Mathematik und Sport) und Wahlfächer (wie Musik und Kunst),

-  die Möglichkeit der individuellen Schwerpunktbildung durch den Schüler bzw. die Schülerin und

- den Unterricht auf unterschiedlichen Anspruchsebenen (Leistungskurse und Grundkurse)

beinhalten muss. Um dem Schüler bzw. der Schülerin eine Wahl und die Möglichkeit zu individueller Profilbildung zu ermöglichen, ist eine Kursangebotszahl, die über eine Klassen- 7 / 7 stufe hinausgeht, für die Oberstufe zwingend ableitbar. Darüber, ob und wie reformpädagogisch orientierte Schulen, die ein differenziertes Oberstufenangebot durch eine jahrgangsübergreifende Kursbildung auch mit kleineren Schülerzahlen realisieren, besonders berücksichtigt werden sollten, berät aktuell eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bildungsministerium mit Beteiligung von Schulträgern. In entsprechend reformpädagogisch arbeitenden Schulen, darunter in der Regel auch den Gemeinschaftsschulen, sind Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften entsprechende Arbeitsformen vertraut und können in der Qualifikationsphase aufgegriffen werden.

Eine vollständige Schulwahlfreiheit gab es auch bisher nie. Das Wahlrecht der Eltern ist künftig, wie heute, in erster Linie durch Kapazitätsüberschreitungen eingeschränkt, ferner über eine Reihe weiterer Faktoren, dabei in erster Linie die Festlegung von Schulbezirken durch den Schulträger, die Grenzen der Schulträgergebiete, im Einzelfall das Vorliegen baulicher Voraussetzung und/oder von Fördermöglichkeiten an einem Standort und andere Faktoren mehr. Eine zu geringe Anmeldezahl für die Eröffnung einer Klasse wird auch künftig nicht zum Regelfall zählen, vielmehr ist hier der Schulträger zu einer vorausschauenden Planung aufgefordert. Eine Zusammenlegung unterfrequentierter Klassen wird künftig noch häufiger als heute erforderlich werden, da es ansonsten zu mehr Unterrichtsausfall kommen würde. Zusammenlegungen werden weiterhin nur in sehr seltenen Ausnahmesituationen nach Schuljahresbeginn stattfinden.

NRW und Baden-Württemberg, die zweitweise eine solche Vereinigung für einzelne Schularten praktiziert haben, haben sie zwischenzeitlich rückabgewickelt. Hintergrund sind hier unter anderem Passungsprobleme zu der in ganz Deutschland geltenden und grundgesetzlich verankerten Verantwortungsaufteilung zwischen Kommunen und Ländern. In Deutschland sind die Kommunen als „Schulträger“ für die „äußeren Schulangelegenheiten“ zuständig. Das Land trägt die Verantwortung für die „inneren Schulangelegenheiten“, zu denen Bildungsziele, Lehrpläne, Unterrichtsgestaltung, Fachaufsicht und Rahmenvorgaben für die Prüfungen gehören. Zu den „äußeren Schulangelegenheiten“ gehören die Errichtung, Einrichtung und die Unterhaltung der Schulgebäude, darunter die Beschaffung der Geräte, Materialien, Hilfsdienste und des Hilfspersonals. Entsprechend tragen die Kommunen die Kosten des Schulbetriebs (darunter auch Lernmittel, Hauspersonal, besondere Betreuung, Transport der Schülerinnen und Schüler). In der aktuellen Situation, in der unsere Schulen einen hohen Personalumbruch zu bewältigen haben, während gleichzeitig der Lehrkräftenachwuchs knapp ist, wäre die angesprochene Vereinigung und die Übertragung des Lehrkräfteeinsatzes eine objektiv falsche Idee. Um jede verfügbare Lehrkraft für die Schulen zu gewinnen, muss Thüringen seine Einstellungsverfahren weiter flexibilisieren, darf aber keine grundlegende Systemumstellung mitten in der Umbruchphase riskieren. Um es mit einem Bild zu veranschaulichen: Bei einem Flugzeug sollte man nicht mitten während Start oder Landung eine neue Software zu installieren suchen. Hinzu kommt, dass es wichtig ist, die knappe Ressource Lehrkräftenachwuchs in den kommenden Jahren gerecht zu verteilen und für alle Schülerinnen und Schüler die beste Unterrichtsabsicherung zu organisieren. Würden kommunale Einheiten Lehrkräfte ohne ein überregional ausgleichendes Verfahren einstellen, kämen künftig immer erst die vom Lehrkräftenachwuchs bevorzugten Standorte Jena und Erfurt zum Zug. Andere Regionen bekämen in vielen Fällen erst mit entsprechender Verfahrensverzögerung Zusagen solcher Bewerberinnen und Bewerber, die in den größeren Städten nicht genommen wurden, etwa aufgrund einer ungünstigen Fächerkombination.