17. Juni 1953 – Dem Kampf für Freiheit und Demokratie auch in Thüringen gedenken

Katja Mitteldorf

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP - Drucksache 7/843

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen am Livestream und sehr geehrter Herr Dr. Wurschi, die Sie ja diesmal oben unserer Plenarsitzung beiwohnen!

 

Ich bin, und das wissen die meisten in diesem Rund, 1985 geboren. Es gibt so Momente, wo man sagt, es wäre die Gnade der späten Geburt. Bei der Frage um den 17. Juni und alles, was sich damit bis ins Heute verbindet, ist das für mich keine Gnade der späten Geburt. Weil, das würde das verharmlosen, was sozusagen ja auch für mein Leben, mein ganz persönliches Leben, das Leben meiner Eltern, meiner Großeltern natürlich eine tragende Rolle gespielt hat. Deswegen will ich Ihnen kurz schildern – und ich glaube es macht deutlich, was in diesem Plenum auch schon von vielen Seiten gesagt worden ist –, was mit den Generationen ist, die nicht mehr in den Genuss kommen werden, Zeitzeuginnen zu hören. Natürlich können die immer auf Zeitdokumente zurückgreifen, aber – und das will ich auch mal anhand meiner eigenen schulischen Bildung ein bisschen deutlich machen – zeitliche Dokumente und auch die Filme, die präsent sind, die man im Unterricht sieht, sie sind ja in Schwarz-Weiß. Das heißt, es ist auch klar, dass für die Generationen, die mit Farbfernsehen aufgewachsen sind, das also so unendlich weit her scheint, dass der Bezug dazu und der Rückschluss darauf, was geschichtliche Ereignisse für das eigene Leben und das eigene Verständnis von Demokratie und Gesellschaft bedeuten, fast gering sind.

 

Ich bin in einer Zeit groß geworden, wo die Geschehnisse um den 17. Juni natürlich – wie heute auch – aus Zeitzeugenberichten bekannt waren, aus historischen Beschreibungen, aber eben auch – und das war, glaube ich, ein besonderer Widerspruch meiner Generation – aus den Geschichtsschreibungen beider deutscher Staaten. Und ich bin in diesem Umstand in ein Bildungsfeld gekommen, wo natürlich in dem Wissen, dass die Eltern- und Großelterngenerationen im Übrigen gerade auch durch die Wende eine Umbruchserfahrung erleben, die sich – und das habe ich an dieser Stelle öfter auch schon in diesem Rund erzählt – natürlich auch auf die Kindergeneration auswirkt, weil die Elterngenerationen auch mit sich beschäftigt sind und ein Stück weit Kinder und Jugendliche zu diesem Zeitpunkt – dazu zähle ich mich –, deswegen sage ich immer in gewisser Form „eine entleerte Generation“ sind, weil die in dem Zwischenraum zu jung sind, um tatsächlich zu begreifen, was vor Kurzem noch passiert ist, und doch schon alt genug, um zu merken, dass einfach Dinge anders sind, und es trotzdem nicht einordnen können.

 

Ich erinnere mich sehr genau an den Geschichtsunterricht und vor allem aber daran, wie meine Geschichtslehrerin – ich bin ja in Sachsen-Anhalt groß geworden, wie viele von Ihnen wissen –, wie meine Geschichtslehrerin, die ich sehr mochte, sich vor allem sehr gewunden hat, als es um den 17. Juni 1953 ging. Ich habe das lange Zeit nicht verstanden. Ich habe irgendwann, viele Jahre später, mit ihr das Gespräch suchen können und habe von ihr auch erfahren, dass sie vor allem eins hatte, nämlich Angst, etwas Falsches zu sagen, Angst, falsch Geschichte zu lehren. Ich glaube, das ist ein Punkt, der wirklich immanent ist und den wir auch nicht vergessen dürfen, weil es sich natürlich darauf auswirkt, wie nachfolgende Generationen diese und andere geschichtliche Momente wahrnehmen.

 

Es war mein ganz persönliches Glück, dass ich mit 17 oder 18 an einem Radioprojekt zum 17. Juni 1953 teilgenommen habe und da das erste Mal tatsächlich mit Zeitzeuginnen/-zeugen ins Gespräch kam und dadurch für mich auch ein Gefühl entwickeln konnte dafür und demzufolge natürlich für mich ganz persönlich auch dafür, was es bedeutet, wenn man Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, mit dem man Gott sei Dank aufgewachsen ist, als Selbstverständlichkeit empfindet, und wenn man sieht, dass es Menschen in derselben Generation oder in den nachfolgenden Generationen noch weniger Wert zu sein scheint, und man dann weiß, dass man, und „nicht nur“, sage ich ganz bewusst, ich als Mitglied der Partei Die Linke, sondern generell in der Verantwortung ist, genau diesen Bogen zu schlagen, nämlich zwischen dem, was unter anderem auch am 17. Juni 1953 passierte empathisch für sich herzustellen und zu wissen: Es gibt eine demokratisch verfasste rechtsstaatliche Gesellschaft, die es zu erhalten, zu bewahren und auch zu verteidigen gilt. Denn die Opfer, unter anderem des 17. Juni, haben Namen. Und ich will ganz zum Schluss nur drei sagen – einer davon ist schon genannt worden –, die in Thüringen zu beklagen gewesen sind: der Autoschlosser Alfred Diener – 26 Jahre alt, der Bäcker Alfred Werner – 33 Jahre alt, und der Bauarbeiter Horst Walde – 27 Jahre alt. Das sind Namen, zu denen Geschichten gehören, und ich werbe darum, dass diese Geschichten auch weitererzählt werden, damit Generationen – meine und die nach mir – nicht vergessen, wofür es sich lohnt in dieser Demokratie einzustehen. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE)

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