Aufarbeitung des SED-Unrechts fortsetzen – Zeitgemäße Erinnerungskultur befördern

Katja Mitteldorf

Zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 7/4200

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuschauerinnen – nicht mehr auf der Besuchertribüne, aber bestimmt am Livestream! Es ist ja immer ein bisschen das Elend eines letzten Redners oder einer letzten Rednerin, dass sowohl zu den Anträgen als auch zu – in diesem Fall – den historisch-politischen Einordnungen alles schon gesagt ist. Deswegen bin ich auch den Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar, die sowohl ihre persönlichen Erfahrungen geschildert als auch ihren historischen Anspruch deutlich gemacht haben, die eine weitere Aufarbeitung und Erinnerung an die Geschehnisse nicht nur rechtfertigen, sondern auch noch mal unterstreichen. Ich bin auch der Kollegin Astrid Rothe-Beinlich sehr dankbar, dass sie sowohl noch mal eingeordnet hat, die Eingangsrednerin konnte ja weder im Internet noch offensichtlich in ihrem Postfach Informationen zu Veranstaltungen finden rund um den 17. Juni. Wenn man einmal klickt, findet man Veranstaltungen, die bereits ab dem 15. April zu diesem Thema im Freistaat Thüringen losgegangen sind und die noch bis zum 29.09.2023 verschiedene Veranstaltungsformate in dezentraler Form und generationsübergreifender Form – das finde ich nämlich auch besonders wichtig – anbieten. Das sind alles Punkte, wo ich mir auch wünschen würde, gerade bei der Wichtigkeit dieses Themas, dass man nicht einfach nur hier vorn steht und irgendwas erzählt, sondern vielleicht erstens auch mal an den Ausschussberatungen teilnimmt – das wäre schon das Allererste – und zweitens sich in die inhaltliche Bearbeitung im Ausschuss natürlich auch einbringt.

 

Im Übrigen – und das ist hier auch schon mehrfach gesagt worden und die Berichterstattung des Kollegen Herrgott hat es auch gezeigt, dass wir uns zu diesen zunächst zwei und dann drei Anträgen wirklich sehr intensiv und sehr lange im Ausschuss befasst haben – wäre es gerade auch im Hinblick darauf, was heute der Ausfluss ist in den Reden im Landtag, noch mal wirklich ein guter Hinweis, ein gutes Zeichen gewesen, wenn Ausschüsse des Thüringer Landtags bereits jetzt öffentlich wären. Denn die Arbeit, die wir uns auch gemacht haben inhaltlicher Natur im Ausschuss zu eben diesem Thema, wie wir mit einer Ernsthaftigkeit – mit Ausnahme einer Fraktion – miteinander diskutiert haben und auch miteinander um Kleinigkeiten gerungen haben – das muss man auch mal sagen –, ist es durchaus auch wert, dass es schon im Vorfeld einer Plenardebatte sichtbar für alle gewesen wäre. Noch mal vielleicht der Appell an der Stelle, wo wir uns um die Öffentlichkeit von Ausschüssen im Thüringer Landtag bemühen, hier vielleicht anhand dieses Vorgangs und dieses Beispiels sich dafür aussprechen zu können.

 

Ich will auf einen Punkt aufmerksam machen, da ich, wie gesagt, auch nicht alles wiederholen möchte, was schon gesagt worden ist. Da geht es um die Generation, die gerade Platz nimmt, und zum Teil auch ein bisschen meine Generation. Ich bin, wie Sie sicherlich wissen, 1985 geboren und bin nicht mehr originäre Person, die DDR und SED erlebt hat, sondern die an verschiedenen Stellen natürlich die – sage ich mal – Nachtrauma-Generation ist, also ich natürlich aufgewachsen bin mit sehr vielen persönlichen Geschichten, die mir meine Eltern, meine Großeltern und später auch Eltern meiner Freundinnen und Freunde erzählt haben, die unfassbar unterschiedlich waren. Es gab keine einheitliche Erzählung, wie das für die einzelnen Menschen war. Natürlich ist es, glaube ich, für Menschen, die dann aufwachsen, alle unterschiedlichen Geschichten gehört haben, umso schwieriger, Dinge einzuordnen und für sich auch in Zusammenhang zu bringen, vor allem – und das ist mir heute Morgen auch erst wieder eingefallen – wenn man sich folgenden Umstand vorstellt: Ich bin in Sachsen-Anhalt geboren und bin in Sachsen-Anhalt zur Schule gegangen und habe mit 15 an einem außerschulischen Bildungsprojekt bei der Landesvereinigung „Kulturelle Jugendbildung“ in Sachsen-Anhalt teilgenommen. Da ging es um ein Radioprojekt bzw. ein Audioprojekt zum 17. Juni 1953. Wie gesagt, ich war 15. Und bis zu diesem Zeitpunkt habe ich in der Schule weder im Geschichtsunterricht, weder im Sozialkundeunterricht oder ähnlichen Unterrichtsfächern auch nur irgendetwas zum 17. Juni 1953 gehört.

 

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Daran hat sich bis heute nicht viel geändert!)

 

Ich glaube, das ist ein grundlegendes Problem, was ich an meiner Person auch festmachen will. Natürlich wusste ich, weil ich in vielen Gesprächen war, meine Eltern und Großeltern auch großen Wert darauf gelegt haben, mit mir diese Gespräche zu führen, was am 17. Juni 1953 passiert ist. Aber eine Aufbereitung, eine Aufarbeitung, eine Einarbeitung und eine Auseinandersetzung damit habe ich nicht in der Schule erfahren, sondern – Gott sei Dank! – in außerschulischen Bildungseinrichtungen. Das ist umso mehr auch für mich ein Appell, noch mal zu sagen, dass es, gerade wenn es um die Frage der Aufarbeitung und die nächsten Generationen geht, wenn sie davon hören und wenn sie auch Zeitzeugenberichte aus DDR-Zeiten hören können, für sie natürlich viel nachvollziehbarer auch ist und an gewisser Stelle sozusagen emotional bindender ist, als wenn sie es – in Anführungsstrichen – nur in einem Geschichtsbuch lesen und es vielleicht bis heute an Stellen, was ich übrigens emotional nachvollziehen kann, durchaus eine gewisse Vorsicht gibt, wie man das in Schule beibringt. Das ist eine Erfahrung, die ich nach wie vorgemacht habe, wenn ich mit jungen Menschen spreche, die aus der Schule kommen bzw. noch in der Schule sind und wir uns darüber unterhalten, wie im Geschichtsunterricht, im Sozialkundeunterricht welche Themen wie behandelt werden und nicht alle aus Thüringen sind. Deswegen will ich hier nicht den Bogen schlagen, dass wir diesbezüglich zu einer anderen Debatte kommen, aber es wird immer wieder davon berichtet, dass es Lehrerinnen und Lehrern schwerfällt, schwerer fällt über solche Ereignisse zu berichten, weil sie zum Teil selbst betroffen waren. Ich sage jetzt mal betroffen nicht unbedingt im Sinne von, dass sie selbst einfach dabei waren, sondern dass sie in einem Staat groß geworden sind, der ihr zu Hause war und über den heute natürlich differenzierter berichtet wird, als es für sie im Zweifelsfalle damals der Fall war. Dass das für Menschen, die Kinder und Jugendliche unterrichten, auch eine emotionale Schwierigkeit darstellt, kann ich super nachvollziehen.

 

Das bedeutet aber, dass wir umso mehr über die Frage nachdenken müssen, wie wir Formate entwickeln, die Kinder und Jugendliche, die sich immer weiter im zeitlichen Rahmen von den Ereignissen entfernen, einbinden können und wie sie sich auch dafür interessieren können, sich erstens mit diesen Ereignissen zu beschäftigen und zweitens auch für sich selbst die Wichtigkeit zu empfinden, an diese Ereignisse zu erinnern und sie dann eben auch weiterzutragen. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle wirklich an einem Punkt angekommen sind, der immer wichtiger wird, sich zu fragen, wie wir für Kinder und Jugendliche den Zugang zu diesen Themen und Ereignissen sowohl in Schule, aber auch weiterhin in außerschulischen Bildungseinrichtungen sicherstellen können. Da sind wir in Thüringen dank der dezentralen Aufarbeitungslandschaft sehr gut aufgestellt. Ich glaube, dass viel zu selten darüber gesprochen wird – vor allem hier im Landtag, denn man kann sich, glaube ich, auch immer wieder im Klein-Klein verlieren –, was die kleinen, regionalen Projekte leisten, die vor Ort mit Kindern und Jugendlichen, aber natürlich auch mit Erwachsenen zu Themen der SED-Aufarbeitung ins Gespräch kommen, Projekte entwickeln und daraus genau diese Frage entwickeln, auf die der Kollege Herrgott zum Schluss noch mal eingegangen ist, nämlich zu der Frage, wie selbstverständlich für mich Demokratie ist und wie sehr ich dann als junger Mensch, der heranwächst, begreife, dass Demokratie weder ein Sofa noch eine Selbstverständlichkeit ist und dass Demokratie und alle Freiheiten, die mit Demokratie auch einhergehen, verteidigt gehören und dass wir alle dafür eine Verantwortung haben. Das lernen wir hoffentlich auch aus historischen Bezügen, aber eben auch, indem wir jetzt in unsere Gesellschaft blicken und erkennen, an welchen Stellen wir immer wieder daran appellieren müssen, dass Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit geschützt gehören und dass es jeder Mensch, der hier ist, verdient hat, als Mensch betrachtet zu werden und dieselben Rechte hat wie alle anderen Menschen

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

und wir nicht tatenlos zusehen, wenn hier wieder Menschen zweiter Klasse etabliert werden sollen, wo Ängste geschürt werden, wo Menschen bedroht werden und wo Menschen aberkannt wird, dass sie eben auch Menschen sind. Das ist und bleibt auch unsere Verantwortung. Herzlichen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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