Thüringer Gesetz zu dem Staatsvertrag „Dritter Vertrag zur Änderung des Vertrages zwischen dem Freistaat Thüringen und der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen

Katja Mitteldorf

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 7/7709

 

Guten Morgen, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, liebe Teilnehmerinnen des Girls‘ and Boys‘ Day und liebe Zuhörinnen und Zuhörer am Livestream!

 

Es ist fast unvorstellbar, wenn man sich überlegt, dass wir es im Jahr 2023 – ich sage einmal – gesellschaftlich fast immer noch für normal und akzeptiert halten, wenn Menschen, und zwar nicht nur in Kneipen und an Stammtischen, Witzchen erzählen, die einen krassen antisemitischen Hintergrund haben, die Jüdinnen und Juden als Menschen zweiter Klasse betiteln und behandeln, und dass wir, wenn wir nicht selber aufpassen, fast Gefahr laufen, zu desensibilisieren, wenn wir erneut von antisemitischen Angriffen und von antisemitischen Beleidigungen und antisemitischer Verfolgung hören. Ich finde, es ist eine Schande, im Jahr 2023 in Deutschland noch immer mit genau diesen Problemen in dieser Gesellschaft zu tun zu haben.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD)

 

Umso mehr bin ich froh und auch sehr dankbar, dass der Freistaat Thüringen seit 1993 mit einem Staatsvertrag mit der Jüdischen Landesgemeinde dem entgegenwirkt, und zwar nicht nur, weil es den rechtlich finanziellen Rahmen für die Zuwendungen an die Jüdische Landesgemeinde regelt, sondern weil – und das ist hier auch schon gesagt worden – es natürlich vor allem auch um Zusammenarbeit, um den Abbau von Vorurteilen, um das Bekämpfen des Antisemitismus geht. Der Vertrag schafft einen Rahmen für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen dem Freistaat und der Jüdischen Gemeinde, um die jüdische Kultur und Geschichte in Thüringen zu fördern und zu bewahren und Begegnungen und Austausch zu ermöglichen. Er trägt damit maßgeblich zur kulturellen Vielfalt dieses Landes bei.

 

In diesem Zuge ist auch zu begrüßen, dass der Vertrag eine Klarstellung im Hinblick auf die staatliche Verpflichtung zur Pflege verwaister jüdischer Friedhöfe beinhaltet. Denn mit dieser Verpflichtung würdigt der Freistaat nicht nur die historischen Wurzeln der Jüdischen Gemeinde in Thüringen, sondern schützt auch einen wichtigen Teil des kulturellen Erbes unseres Freistaats. Es geht aber eben nicht nur um den Schutz der Vergangenheit, sondern auch um die Gegenwart. Darauf bin ich eben schon mal kurz eingegangen. Denn es ist eben, wie gerade schon gesagt, immer noch ein erschreckend hohes Maß an Antisemitismus, an Angriffen und Bedrohungen zu erleben, wo ich hier auch noch mal in diesem Rund die Zeit nutzen möchte, an uns alle zu appellieren, dass wir auch den vermeintlich kleinsten Witz, der ja gar nicht so gemeint ist, dass wir dem entschieden entgegentreten und uns auch immer wieder aufs Neue trauen, zu sagen, Entschuldigung, auch wenn du das jetzt nicht hören willst, aber das ist antisemitischer Müll, und das musst du nicht vor mir abladen.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Mit diesem Vertrag und auch dem Schutz und der Sichtbarmachung der Jüdischen Gemeinde durch den Freistaat ist somit auch ein wichtiger Schritt zur Umsetzung der Verpflichtung, die wir uns auch rechtlich im Rahmen „Nie wieder!“ deutschlandweit gegeben haben – es ist ja auch schon gesagt worden –, an jeder Stelle gegen Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit und das Verletzen der Menschenwürde eines jeden Menschen in dieser Gesellschaft entgegenzutreten, getan. Damit setzt die Weiterführung dieses Staatsvertrags ein wichtiges Zeichen gegen Antisemitismus und für die Anerkennung der jüdischen Kultur und Geschichte als lebendigen Teil unseres Freistaats. Ich wünsche vor allem auch den nachfolgenden Generationen – ich muss ja feststellen, dass ich mittlerweile auch alt bin, zumindest wahrscheinlich für Sie da oben –, dass es eben nicht unwichtig ist, zu begreifen und immer wieder darüber auch zu lernen, dass die jüdische Kultur viel älter ist und ihre Wurzeln auch in Thüringen bis heute sichtbar gemacht werden müssen, und dass Jüdinnen und Juden Menschen sind wie du und ich, die es verdient haben, eben auch als solche wahrgenommen zu werden, gerade und nicht nur, weil es eine moralische Verpflichtung ist, aufgrund der Geschichte des Terrors und der Vernichtung, die von Deutschland ausgegangen sind, immer wieder im Dialog zu bleiben, in der Begegnung zu bleiben. Bleiben Sie neugierig und arbeiten Sie mit uns gemeinsam daran, dass Antisemitismus endlich aus der Gesellschaft verschwindet. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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